Titusbogen in Rom (Teil 4)

Scheitelrelief

Das Scheitelrelief bedeckt eine Fläche von 3 x 3 Kassetten im Zentrum des Tonnengewölbes.

Die Darstellung zeigt Titus auf einem Adler sitzend. Sein Kopf ist vom Rahmen beschnitten und kaum als Titus zu identifizieren. Dieses Relief am Titusbogen ist die erste bildliche Darstellung eines Kaisers auf einem Adler fliegend.

In der althistorischen Forschung herrscht eine große Kontroverse über die Interpretation der kaiserlichen Adler- und Adlerflugdarstellungen und es gibt dazu 3 Deutungsvorschläge:

1. Darstellungen dieser Art sind eine Angleichung an Jupiter  bzw. ein ganz allgemeines Apotheosesymbol
2. Sie symbolisieren den Seelenflug zum Himmel, sind also  konkretes Sinnbild der Divinisierung
3. Sie geben einen Ausschnitt des Konsekrationsmodells wieder,   bei dem man einen Adler vom Scheiterhaufen aufsteigen ließ.

Der reale Adlerflug lässt sich im Konsekrationszeremoniell bis zu Septimius Severus nicht sicher nachweisen. Die Nachricht von Cassius Dio (56,42,3) vom Adlerflug bei Augustus scheint eine Übertragung aus eigener Zeit zu sein, und der Adler auf trajanischen Konsekrationsmünzen kann als schlicht als Konsekrationssymbol verstanden werden.

Eine Jupiterangleichung kann am Titusbogen nicht gemeint sein, denn Titus trägt nur die Toga, während auf solchen Darstellungen der Kaiser mit Victoria, Füllhorn, Ägis und Lorbeerkranz erscheint. Das Relief am Titusbogen stellt daher wohl einfach die Divinisierung des Titus dar und bezieht sich damit auf die Inschrift.

Zusammenfassung des Bildprogramms

Inschrift und Bildschmuck des Titusbogens sind aufeinander abgestimmt.

Die Durchgangsreliefs zeigen Titus im irdischen Triumph, der Voraussetzung und Ausdruck seiner göttlichen Stellung ist. Das Triumphatorrelief stellt die personifizierten kaiserlichen Eigenschaften Virtus, Honos und Victoria Augusti dar und das Beuterelief verdeutlicht durch die Vorführung der Beutestücke aus dem jüdischen Triumph den historischen Zusammenhang.

Der Triumphzug im kleinen Fries findet sich häufig auch bei Bögen mit friedlicher Thematik (z. B. beim Trajansbogen). In unserem Fall passt er sogar zum Programm, da ja in den Durchgangsreliefs Ausschnitte aus dem Triumphzug zur Feier des jüdischen Sieges dargestellt sind.

Die Personifikationen Virtus und Honos erscheinen als wichtige Voraussetzungen für die Apotheose des Titus noch einmal auf den Schlusssteinen und die flankierenden Victorien in den Archivoltzwickeln nehmen in ihren Attributen auf sie Bezug.

Die Aufnahme des Kaisers unter die divi, sozusagen als Konsequenz der herausragenden Eigenschaften des Kaisers, ist als „Himmelfahrt“ auf einem Adler auf dem Scheitelrelief dargestellt.

Die Attikabekrönung ist zwar nicht erhalten, aber man vermutet, das ein bei Cassiodor (Var. 10,30,1) erwähntes Elefantengespann auf dem Titusbogen stand. Zum einen galt auch der Elefant als Symbol für die Apotheose, zum anderen ist die Elefantenquadriga der Triumphwagen der Götter.

Das Bildprogramm des Titusbogens zeigt also eine logische Steigerung von unten nach oben. Dabei wird die Göttlichkeit des Titus hervorgehoben, um so seine Konsekration zu rechtfertigen und zu begründen.

(Fortsetzung folgt …)

Titusbogen in Rom (Teil 3)

Triumphatorrelief

Auf dem Relief an der Nordseite des Durchgangs ist der Höhepunkt des Triumphzugs dargestellt, nämlich der Triumphator in seiner Quadriga. Er wird von 12 Liktoren begleitet, von denen die meisten hinter den Pferden stehen. Das rechte Pferd wird von einer Frau in Amazonentracht geführt. Neben dem Triumphwagen geht ein halbnackter junger Mann. Titus wird von einer Viktoria bekränzt. Hinter dem Triumphator stehen 3 weitere Begleiter, die mit der Toga bekleidet sind.

Der Triumphwagen ist immer eine Quadriga. Der Wagenkasten ist so hoch, dass man darin nur stehen kann. Er ist mit Reliefs oder Lorbeerschmuck reich dekoriert. Dargestellt sind auf dem Wagenkasten Götter, Siegessymbolik und Ranken; teilweise nehmen die Darstellungen auch auf den Triumphator Bezug.

Der Triumphator auf dem Wagen hielt in der rechten Hand einen Lorbeerzweig und in der linken Hand das Adlerszepter. Hiervon ist hier kaum noch etwas zu erkennen. Auf dem Kopf trug er einen Lorbeerkranz und ein Staatssklave (servus publicus) hielt die corona triumphalis oder corona etrusca über ihn. Dies ist ein großer, schwerer Goldkranz aus Eichenblättern mit Binden und Edelsteinen. Hier kann man noch den Rest der beiden Kränze erkennen.

Auf Reliefs wird der Staatssklave schon im 1. Jh. n. Chr. meist durch eine Viktoria ersetzt. So auch hier am Titusbogen. Sie symbolisiert die Sieghaftigkeit des Kaisers. Die Viktoria macht auch deutlich, dass diese Darstellung hier nicht nur den historischen Triumph meint, sondern auch allegorisches und ideologisches Gedankengut einfließen lässt und somit der Realität entrückt. Dies ist eine häufige Erscheinung bei sog. historischen Reliefs, auf denen immer wieder Personifikationen dargestellt sind.

Die Frau in der Amazonentracht wird heute meist als Virtus (= Tugend, Tapferkeit) identifiziert, der junge Mann, der neben dem Triumphwagen geht, als Honos (= kriegerischer Ruhm). Gemeinsam mit Viktoria sind sie ständige Begleiter des Kaisers als Personifikationen seiner herausragenden Eigenschaften. Virtus symbolisiert das pflichtbewuáte Verhalten und die Tüchtigkeit im Krieg und Honos den im Kampf erworbenen Ruhm des Kaisers sowie das ehrenvolle Verhalten im zivilen Bereich. Beide zusammen sind Voraussetzungen für die Konsekration des Kaisers.

 

(Fortsetzung folgt …)

Titusbogen in Rom (Teil 2)

Der erhaltene Reliefschmuck und seine Deutung:

Kleiner Fries

Unter der Inschrift an der Ostseite befindet sich der Rest eines ursprünglich umlaufenden kleinen Frieses, der die Abrollung eines Triumphzugs zeigte. Dargestellt ist hier wohl der Triumph zur Feier des jüdischen Sieges 71 v. Chr.

Die Abfolge eines vollständigen Triumphzugs kann man aus verschiedenen Quellen ungefähr rekonstruieren. Die Prozession wurde von Trompetern angeführt. Danach kamen zunächst die Opfertiere und Opferdiener, dann Beutestücke und Gefangene. Anschließend folgte der Triumphator in seinem Wagen, umgeben von Liktoren und verschiedenen Beamten. Den Schluss bildete das Heer. Jeder dieser Gruppen und den einzelnen Beutestücken usw. trug man eine Tafel voran, die die folgenden Gegenstände oder Personen benannte.

Auch den Weg eines Triumphzugs können wir nachvollziehen. Die Teilnehmer versammelten sich auf dem Marsfeld und zogen dann nacheinander durch die porta triumphalis. Man durchquerte u. a. den Circus Maximus, umrundete den Palatin, zog durchs Forum Romanum und stieg schließlich zum Jupiter-Tempel auf dem Kapitol empor, wo das abschließende Opfer stattfand.

Das Fragment des kleinen Triumphfrieses vom Titusbogen zeigt v. a. die Opferstiere mit dem entsprechenden Begleitpersonal. Die anschließende Gruppe von Männern trägt ein ferculum, d. h. ein Tragegestell, auf dem ein bärtiger Mann liegt. Sein linker Arm stützt sich auf ein Gefäß, aus dem Wasser fliest, und seine rechte Hand halt einen Schilfstengel.

Diese Ikonographie ist typisch für einen Flussgott und die Quellen berichten davon, dass man Darstellungen von eroberten Städten, Bergen und Flüssen beim Triumph mitführte. Im Zusammenhang mit dem jüdischen Triumph stellt die Figur auf dem ferculum wohl den Fluss Jordan dar.

Beuterelief

Das sogenannte Beuterelief an der südlichen Innenseite des Durchgangs zeigt einen Ausschnitt dieses Triumphzugs. Die Teilnehmer ziehen mit den Anzeigetafeln und den wichtigsten Beutestücken durch einen Bogen am rechten Reliefrand.

Bei den mitgeführten Beutestücken handelt es sich um die Tempelgeräte aus dem Tempel von Jerusalem. Die Beute wird von 2 Gruppen zu je 8 Männern auf fercula getragen. Auf dem vorderen Gestell steht der goldene Schaubrottisch, an dem 2 Posaunen lehnen. Das zweite ferculum trägt die Menorah, der siebenarmiger Leuchter. Die Vorführung dieser Gegenstände bezeichnete Josephus als einen Höhepunkt des Triumphzugs.

Der Zug durch einen Bogen kommt bei Triumphalreliefs häufiger vor. Oft wird der Bogen als porta triumphalis interpretiert, obwohl dies meist nicht sicher zu entscheiden ist. Der Bogen des Beutereliefs trägt jedoch eine besondere Attika-Bekrönung. Dargestellt sind die Pferde von 2 Quadrigen und in der Mitte ein Reiter neben einer stehenden Figur. Nun bekamen sowohl Vespasian als auch Titus einen Triumph zugebilligt, den sie aber gemeinsam feierten. Dabei fuhr jeder in einem eigenen Wagen. Domitian ritt auf einem Pferd nebenher. Dies ist anscheinend in der Figurengruppe auf der Attika dargestellt. Außerdem hält die Viktoria im Archivoltzwickel eine Dattelpalme in der Hand, die als Symbol des jüdischen Triumphes gilt. Beim Triumph selbst konnte es noch keinen Bogen mit dieser Figurengruppe geben. Am Titusbogen vermischen sich also Realität und Ideologie.

(Fortsetzung folgt …)

Titusbogen in Rom (Teil 1)

Gerade wurden Reste eines zweiten Ehrenbogens für den römischen Kaiser Titus im Circus Maximus in Rom gefunden, der vermutlich für den Sieg des Titus über die Juden errichtet wurde.

Aus diesem Anlass sei hier und in den folgenden Artikeln der bekannte Titusbogen auf dem Forum Romanum beschrieben.

Dieser Bogen befindet sich auf der Höhe der Velia, einem Hügelrücken, der den Palatin mit dem Esquilin verbindet. Nach Osten fällt das Gelände zum Kolosseum und nach Westen zum Forum Romanum ab. In augusteischer Zeit traf der Clivus Palatinus in der Nähe des Titusbogens auf die vom Forum kommende Via Sacra.

Aus der Antike kennen wir kaum Dokumente, die wir auf den Titusbogen beziehen können. Eines dieser Dokumente könnte eine Beischrift auf einem Relief am Haterier-Grabmal aus der Zeit Trajans (98-117) sein, die einen dargestellten Bogen mit „in sacra via summa“ kennzeichnet. Im Mittelalter diente der Titusbogen als Tor zur Festung Frangipani und 1821 wurde er unter Papst Pius VII restauriert.

Literatur:

H. Kähler, RE Bd. VII, A 1 (1939), „Triumphbogen“
F. Coarelli, Rom. Ein archäologischer Führer (1975), S. 96 f.
E. Künzl, Der römische Triumph (1988)
H. Knell, Bauprogramme römischer Kaiser (2004)
M. Pfanner, Der Titusbogen (1983)
G. Kleiner, Der Triumph des Titus, in: Festschrift M. Wegner (1962), S. 42-43
F. J. Hassel, Der Trajansbogen in Benevent (1966), S. 23-30
A. Wlosok (Hrsg.), Römischer Kaiserkult (1978)
E. Bickermann, Die römische Kaiserapotheose, Archiv f.Religionswissenschaft 27,  1929, S. 1-35
U. Geyer, Der Adlerflug im römischen Konsekrationszeremoniell (Diss. 1967)

Bestandteile und Aufbau

Der Bogen weist in den Maßen beträchtliche Schwankungen auf. Er ist ungefähr 13,50 m breit, 15,40 m hoch und 4,75 m tief (erhaltene Höhe 49 Fuß = 14,47 m). Der Durchgang ist ca. 5,50 m breit.

Der Titusbogen ist horizontal in Sockel, in Säulenordnung mit Gebälk und Attika und vertikal in die beiden Pylonen und in den Mittelteil mit Durchgang und vorspringendem Gebälk- und Inschriftteil der Attika eingeteilt.

Der Durchgang ist ganz mit Reliefs und Ornamentik überzogen. Weitere Reliefs befinden sich in den Archivoltzwickeln und den Schlusssteinen sowie über dem Architrav. Die Attika trägt Inschriften. Die Außenseiten der Pylonen waren ungeschmückt, ob die Attikaflächen neben der Inschrift Reliefs besaßen, bleibt unsicher.

Die Inschrifttafel ist nur an der Ostseite original erhalten. Aus dem Vergleich mit anderen Bogenmonumenten ergibt sich jedoch, dass an der Forumsseite wahrscheinlich die gleiche Inschrift saß. Heute befindet sich hier eine Inschrift, die bei der Restaurierung Anfang des 19. Jh. angebracht wurde.

Die Inschrift an der Ostseite lautet:

SENATUS
POPULUSQUE ROMANUS
DIVO TITO DIVI VESPASIANI F
VESPASIANO AUGUSTO

„Der Senat und das Volk von Rom für den vergöttlichten Titus, Sohn des vergöttlichten Vespasian, den Vespasian Augustus“

Diese typische Inschriftsformel – Weihung an den divus ohne Angabe der Ämtertitulatur und des Grundes – kommt ausschließlich bei Monumenten vor, die einem divus gelten. Der Anlass der Errichtung ist daher nicht, wie aufgrund des Reliefschmucks teilweise angenommen, der jüdische Triumph, sondern die Divinisierung des Kaisers.

 

(Forsetzung folgt …)

 

APX – Archäologischer Park Xanten

CIMG1953CIMG1952

Der Archäologische Park, das Römermuseum und die Großen Thermen von Xanten gehören zu den Highlights römischer Stätten in Deutschland. Zwar wurde die Stadt Colonia Ulpia Traiana (CUT) nach ihrem Zerfall als Steinbruch verwendet, aber sie wurde nie überbaut, da sich spätere Siedlungen um Stift und Dom St. Viktor im heutigen Ort Xanten bildeten. Daher bietet sich Archäologen die Gelegenheit, eine fast komplette römische Colonia eingehend zu untersuchen.

Das erste Militärlager im Raum Xanten, Vetera I, entstand zur Zeit von Augustus auf dem Fürstenberg. Nachdem dieses Lager während des Aufstands des westgermanischen Stammes der Bataver 69/70 n. Chr., die eigentlich als Bundesgenossen galten, zerstört wurde, errichtete man etwas versetzt ein neues Lager, Vetera II, das bis ca. 270 n. Chr. besetzt war. Nördlich des Lagers entstand eine zivile Siedlung, die unter Kaiser Trajan (98 – 117 n. Chr.) um ca. 100 n. Chr. das höchste römische Stadtrecht erhielt: den Titel einer Colonia. Die Verleihung dieses Titels bedeutete das römische Bürgerrecht für die Bewohner und war eine besondere Auszeichnung: Nur etwa 150 Städte im römischen Reich erhielten diesen Titel – im heutigen Deutschland z. B. auch Trier oder Köln.

Die Colonia Ulpia Traiana wurde ganz neu geplant und überdeckte bald die Vorgängersiedlung. Die Stadt erhielt ein regelmäßiges Straßennetz, eine Stadtmauer mit mehreren Toren, ein Kanalsystem für Frisch- und Abwasser, Tempel, Forum und ein Amphitheater. Die Stadt bot etwa 10.000 Menschen Platz und wurde zu einem Hauptort der römischen Provinz Germania Inferior (= Niedergermanien).

Die Blütezeit der CUT hielt bis zum Eindringen der Franken in der zweiten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. Danach zogen sich Soldaten und Bürger der Stadt in das Zentrum der Stadt zurück, das sie stark befestigten. Im 4. Jh. n. Chr. wurde jedoch auch diese Siedlung zerstört.

Bis heute wurden nur ausgewählte Bereiche der Colonia Ulpia Traiana ausgegraben. Einige ergrabene Flächen wurden mit Hecken sichtbar gemacht, z. B. Hausgrundrisse; einige Gebäude wurden zumindest teilweise wieder rekonstruiert: z. B. das Amphitheater, das heute auch für Veranstaltungen genutzt wird, Teile der Stadtmauer mit ihren Toren und Wachttürmen, der sogenannte Hafentempel, eine Herberge, in der man heute auch römische Speisen genießen kann, inklusive dem zugehörigen Bad sowie seit Mai 2015 verschiedene Werkstätten (z. B. von Schmieden und Weberinnen). An einigen Stellen kann man in Brunnen oder Wasserleitungen sehen und auch Getreidemühlen und Baukräne wurden rekonstruiert.

Zu jeder römischen Stadt gehörten auch öffentliche Bäder. Die sogenannten Großen Thermen der CUT wurden 1999 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der riesige Schutzbau rekonstruiert das vermutliche Aussehen des Gebäudes. Die Eingangshalle der Thermen, die Basilika Thermarum, beherbergt seit 2008 das LVR-Römermuseum. Hier finden die Funde aus den langjährigen Ausgrabungen in der Colonia Ulpia Traiana einen würdigen Rahmen.

Auch wenn der Eintrittspreis nicht ganz billig ist und nur für einen Tag gilt, lohnt es sich, den Besuch im römischen Xanten auf zwei Tage zu verteilen. Es gibt sehr, sehr viel zu sehen und zu erlaufen und ein Tag ist meines Erachtens zu wenig, um alle Eindrücke zu verarbeiten.

Weitere Informationen:

Die sogenannten „Thronreliefs“ aus Ravenna (Teil 8)

Den antiken Kontext der Reliefplatten kennen wir leider nicht. Wir können daher nur Vermutungen über die ursprüngliche Verwendung anstellen und müssen bei unseren Überlegungen von den Platten selbst ausgehen.

Nach der Bedeutung der Motive hing das Monument, an dem die ravennatischen Marmorplatten angebracht waren, mit dem Kaiserkult zusammen. Es handelte sich daher wahrscheinlich um einen Tempel oder einen Altar für den Kaiser oder einen Divus, für den Genius Augusti oder den Divus Augustus.

Es stellt sich nun noch die Frage, wo und wie die Reliefs in einem solchen Monument Verwendung fanden. Mansuelli z. B. nahm einen kontinuierlichen Fries am oberen Ende einer Wand an. Ein kontinuierlicher Fries ist aber, wie die Rahmung des vollständigen Exemplars im Louvre zeigt, nicht möglich, sondern eher eine metopenartige Anordnung. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass sich der architektonische Hintergrund von Platte zu Platte ändert. Beschi hält es außerdem nicht für möglich, die Platten oben an einer Wand anzubringen, da sie wegen der sorgfältigen Ausarbeitung sichtbar gewesen sein müssten. Er nimmt daher eine maximale Anbringungshöhe von 2 m an. Da keine Einlassungen für Metallklammern vorhanden sind, können sie, seiner Meinung nach, nicht in ein Marmorstruktur eingefügt gewesen sein. Ebenso hält er es aufgrund der glatten Rückseite ohne Rahmung nicht für möglich, dass diese Rückseite sichtbar war, wie z. B. im Fall einer Schranke oder einem Geländer. Beschi glaubt, dass die Platten am ehesten in eine Mauer eingefügt waren, um den unteren Teil einer Wand zu schmücken.

Meiner Meinung nach ist es allerdings durchaus möglich, dass die Reliefplatten höher als 2 m angebracht waren. Als Beispiel sei hier z. B. der Erotenfries vom Tempel der Venus Genetrix in Rom genannt: dieser ist ebenso sorgfältig ausgearbeitet wie die ravennatischen Reliefs und, obwohl sie sogar ein Drittel kleiner sind, schmückten sie den Architrav! Wären die Reliefs in eine Wand eingemauert gewesen, wäre, meines Erachtens, spätestens beim Herausbrechen aus der Mauer die Rückseite der Marmorplatten beschädigt worden, d. h. sie wären nicht mehr glatt.

Aufgrund der glatten Rückseiten und den fehlenden Einlassungen für Klammern u. ä., scheint mir eine Verwendung als Schrankenplatten zwischen zwei Säule recht wahrscheinlich. Die Platten wären dann mit der unteren Standplatte in den Fußboden oder eine niedrige Mauer eingelassen gewesen. Auch kommen die Platten mit nur 15 cm kaum  tragende Elemente in Frage, und wenn wir eine Einfügung in eine Mauer ausschließen, bleibt eigentlich nur noch eine Funktion als Schranke.

Da wir für Ravenna zwei Reliefserien bezeugt haben, scheint hier eine dekorative Wiederholung der Platten an einem Gebäude vorzuliegen. Ich halte dies, im Gegensatz zu Beschi, auch bei einer tieferen religiösen oder ideologischen Bedeutung der Motive, durchaus für möglich.

Ein paar Berechnungen können uns schließlich noch eine gewisse Vorstellung von den Ausmaßen des Gebäudes geben, aus dem die Platten stammen. Bei mindestens zwölf anzunehmenden Reliefs pro Serie ergeben sich, mit ca. 2 m Länge pro Platte ungefähr 24 m. Nimmt man außerdem zwischen zwei Platten eine Säule an, dann erhalten wir schon für eine Serie eine Länge von etwa 30 m.

Die sogenannten „Thronreliefs“ aus Ravenna (Teil 7)

Im Jahre 113 n.Chr. wurde das neue Traiansforum zusammen mit dem im Jahre 80 n Chr. abgebrannten und nun wiederaufgebauten Venus-Genetrix-Tempel eingeweiht. Der Beginn der Bauarbeiten am Tempel lag aber, nach Nash, noch in spätdomitianischer Zeit. Von diesen beiden Bauprojekten haben sich mehrere Fragmente mit Puttidarstellungen erhalten, von denen ich zwei vom Venus-Genetrix-Tempel und eines vom Traians-Forum zum Vergleich heranziehen möchte.

Das erste der Fragmente vom Venus-Genetrix-Tempel befindet sich heute in der Villa Albani. Zwei Putti, deren Unterkörper in Akanthuslaub und Ranken übergehen, machen sich an einem zwischen ihnen stehenden Kandelaber zu schaffen. Das üppige Blattwerk der Ranken weist eine gewisse Härte in der Modellierung auf.

Bei der Körpern der beiden Putti sind die einzelnen Muskelstränge stark herausgearbeitet und die Muskelpartien sind durch tiefe Mulden und weiche Falten deutlich voneinander getrennt. Trotzdem liegt hier noch keine Vereinzelung der Formen vor, wie wir sie bei den ravennatischen Putti festgestellt haben. Die bei den neronisch-flavischen Putti noch sehr schwache Durchgliederung der Einzelformen und die weniger bewegte Oberflächengestaltung kommt jetzt aber schon stärker zum Zug.

Auf einem zweiten Relieffragment des Venus-Genetrix-Tempels, heute im Konservatorenpalast, sind sieben Putti dargestellt. Rechts sind zwei Putti damit beschäftigt einen Schild mit einem Gorgoneion aufzurichten. Daneben tragen zwei weitere Putti einen Köcher bzw. eine Schwertscheide. Weiter links ist ein Puttenpaar mit einer Schüssel beschäftigt, zu der von links ein dritter Putto eine Amphore herbeibringt.

Diese sieben Putti zeigen eine ganz andere Art der Körpermodellierung auf als die Rankenputten. Die Hautfalten sind fast unabhängig von der jeweiligen Bewegung der Putti und reihen die plastischen Wölbungen recht unorganisch aneinander. Die Körperoberfläche ist also in Einzelformen aufgelöst.

Die Flügelbildung ist aufgelockerter und nicht mehr so schematisch wie bei den Rankenputti. Die Binnenzeichnung gibt sogar die Häärchen an und die vorher gerade Reihe der Schwungfedern ist nun abgerundet.

Auf einem Friesfragment vom etwas später datierten Traians-Forum wird eine Amphore mit einer bacchantischen Tanzszene von zwei „Ranken“-Putti flankiert, die ihr den Rücken zuwenden. Die Modellierung der Ranken ist detaillierter als beim Venus-Genetrix-Tempel und die Oberflächengliederung der Puttenkörper ist jetzt zurückgenommen. Die schmaleren Körper der zwei Putti bilden mit der Biegung ihrer Ranken eine gleichmäßige Kurve. Nur bei den Armen sind noch leichte Einbuchtungen und Wölbungen auf. Die Hälse sind wieder deutlicher zu sehen. Die Haare liegen eng am Kopf an und bilden ab und zu kleine Kringellöckchen. Die Flügel haben stark ausschwingende Schwungfedern auf und die Haare sind überall skizziert.

Die Putti unserer Serie ähneln am stärksten den Putti vom Venus-Genetrix-Tempel. Gegenüber den früheren Putti ist eine zunehmende Zergliederung bei der Körpermodellierung festzustellen, die im Puttenfries des Venus-Genetrix-Tempels gipfelt. Diese Oberflächengliederung wird bis zu den Rankenputti des Traians-Forums mit dem Datum der Einweihung 113 n. Chr. als terminus ante quem, wieder zurückgenommen.

 

(Fortsetzung folgt …)

Die sogenannten „Thronreliefs“ aus Ravenna (Teil 6)

An das Ende der neronischen Zeit wird eine oktogonale Urne aus den kapitolinischen Museen von Simon datiert. Das 66 cm hohe Gefäß mit Deckel zeigt unter anderem sieben tanzende Eroten.

Die Körperbehandlung dieser Putti ist recht bewegt. Die einzelnen Muskel- und Fettpartien sind hier viel differenzierter und organischer zusammenengesetzt als bei den Beispielen claudischer Putti. Die Wölbungen sind oft durch scharfe Falten getrennt. Wie bei den ravennatischen können wir starke Schwellungen in den Körperformen festgestellen, aber bei den Putten auf der Urne fehlen z. B. noch die Wölbungen an der Hinterseite des Oberschenkels, die wir bei den ravennatischen Putti gesehen haben. Außerdem ist die Oberflächenstruktur noch sehr glatt.

Die Flügel sind zwar schon viel plastischer und kleiner als bei den Putti des Würzburger Altares, aber die Binnenzeichnung ist immer noch zu schematisch.  Ähnliches läßt sich zu den Stoffen sagen. Alle Mäntelchen auf der Capitolinischen Urne flattern in sanft gerundeten Bögen mit wenig Überschneidungen und großen Licht-Schattenbildung. Bei der ravennatischen Gruppe findet sich dagegen eine sehr viel stärkere Formenvielfalt, Bewegtheit und Plastizität.

Diese Urne steht unserer Serie sicher zeitlich näher, aber die Einzelformen sind noch nicht so differenziert gestaltet sind wie bei den ravennatischen Putti.

(Fortsetzung folgt …)

Die sogenannten „Thronreliefs“ aus Ravenna (Teil 5)

Auf dem bereits erwähnten Vierjahreszeitenaltar, einem Rundaltar in Würzburg, der früher hadrianisch datiert und erst von E. Simon der claudischen Zeit zugeordnet wurde, sind vier Putti als Jahreszeitenallegorien dargestellt. Sie stehen mit ihren Attributen zwischen sparsam dekorierten Kandelabern, an denen baldachinartige Tücher befestigt sind.

Die Haut spannt sich straff über den recht schmalen Körper, wodurch eine glatte Oberfläche entsteht. Hautfalten ergeben sich nur an wenigen Stellen. Die organische Gliederung des Körpers ist sehr zurückhaltend. Bei den anderen Putti wird diese Körperbehandlung eher noch flacher und summarischer. Dies steht im krassen Gegensatz zu den ravennatischen Putti, die viel voluminöser gestaltet sind.

Im Gegensatz zu den plastisch gearbeiteten Flügel auf den ravennatischen Reliefs, sind die Flügel auf dem Würzburger Altar sehr flach gehalten und die Binnenzeichnung beschränkt sich hier auf die Angabe des Kiels.

Auch die Stoffpartien des Rundaltares sind einfacher und flacher gestaltet als auf den Platten in Ravenna. Die Falten der nur leicht vorspringenden Baldachine auf dem Vierjahreszeitenaltar fallen in einer ruhigen Bogenstruktur, während die Falten auf den Tüchern über den Thronen häufig enden ohne Bogen zu bilden.

Die straffe Körpermodellierung, die zurückhaltenden Stoffarrangements und die Verwendung des Flachreliefs für Stoffe und Flügel auf dem Vierjahreszeitenaltar folgen den in iulisch-claudischer Zeit beliebten Vorbildern der griechischen Kunst. Der Vergleich mit anderen Reliefs aus der iulisch-claudischen Zeit zeigt die gleichen stilistischen Merkmale. Die ravennatischen Reliefs sind dagegen plastischer gearbeitet und zeigen mehr Licht- und Schattenwirkung.

 

(Fortsetzung folgt …)

Die sogenannten „Thronreliefs“ aus Ravenna (Teil 4)

Die Datierung der Reliefs ist in der Forschung umstritten. Sie wurden bisher bereits in die iulisch-claudische Zeit datiert, in hadrianische oder traianische Zeit. Die Datierung in iulisch-claudische Zeit vertritt z. B. Beschi. Er sieht stilistische Übereinstimmungen in der Plastizität und der sorgfältigen Ausarbeitung zwischen den Putti der ravennatischen Reliefs und dem Würzburger Vierjahreszeitenaltar, der von E. Simon 1967 der claudischen Zeit zugeschrieben wurde. Vor allem aber stützt er seinen Vorschlag mit historischen Überlegungen: seiner Meinung nach ist eine Datierung in die iulisch-claudische Zeit durch die politische und strategische Rolle Ravennas in dieser Zeit wahrscheinlich, da Ravenna den beiden Divi der iulisch-claudischen Familie viel verdankt. Augustus verstärkte Ravenna als Sitz der westlichen Flotte und des praefectus classis, Claudius befestigte sie und verschönerte sie z. B. mit der Porta Aurea. Dies weist für diese Zeit auf eine enge Bindung an den Kaiser und siene Familie, was wiederum die Qualität der untersuchten Reliefs und die ideologischen Implikationen der Darstellungen erklären könnte.

Sehen wir uns die verschiedenen Datierungsvorschläge an. Dazu ist es zunächst notwendig, die stilistischen Merkmale der ravennatischen Reliefs zu beschreiben, wobei ich nur einige Merkmale herausgreifen möchte. Als Vergleichsbeispiele sollen hier v. a. die Reliefs von S.Vitale, Louvre und Venedig dienen.

Die Körper der Putti wirken recht kompakt, ein Eindruck, der besonders durch die dicken Beine, die sehr kurzen Hälse sowie durch die stark plastisch herausgearbeiteten Backen betont wird. Die Gesichter sind detailliert modelliert, z. B. sind bei den Augen sowohl das untere als auch das obere Lid abgesetzt.

Bei der Körperbehandlung sind die Muskel- und Fettpartien meist stark geschwollen herausgearbeitet und gegeneinander durch Falten abgesetzt, so dass sich eine bewegte Oberfläche ergibt. Es entsteht der Eindruck einer additiven Aneinanderreihung von Einzelformen.

Die kurzen Flügel der Putti sind oft vollplastisch gearbeitet. Sie bestehen aus einer doppelten Lage leicht unregelmäßig gereihter Deckfedern sowie vier bis fünf Schwungfedern auf, die zum Körper hin nur wenig kürzer werden und an den Enden nicht ausschwingen. Die Federn sind recht dick und unterschiedlich gestaltet. Die genaue Binnenzeichnung gibt nicht nur den Kiel an, sondern skizziert sogar die einzelnen Häärchen.

Die kurzen Mäntel der Putti weisen durch tiefe Falten starke Hell-Dunkel-Kontraste auf. Bei den Tüchern, die über die Throne gebreitet sind, zeigen alle Faltenöffnungen nach vorn und die Struktur wird durch kleine, schrägverlaufende Falten auflockert.

An den ravennatischen Reliefs zeigt sich also ein großes Interesse an Detailtreue, an Licht- und Schattenwirkung und an plastischer, voluminöser Gestaltung.

(Fortsetzung folgt …)

Seite 29 von 39

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén