Die bedeutendste deutsche Rezensionszeitschrift für die klassischen Altertumswissenschaften, der Gnomon, feiert dieses Jahr seinen 100. Geburtstag. Ein guter Zeitpunkt, um zu den Anfängen zurückzublicken. Markus Hafner legt mit seinem jüngst erschienenen Buch eine fundierte Analyse der Geschichte der Zeitschrift von der Gründung 1925 bis zur Neuerscheinung nach dem Zweiten Weltkrieg vor.

Die Kritische Zeitschrift für die gesamte klassische Altertumswissenschaft erschien erstmals 1925 – bei der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung in Berlin. Sie ging auf eine Idee des Verlagsinhabers Hans Reimer sowie Werner Jaeger zurück. Neben Dr. phil. Richard Harder wurden 16 weitere Herausgeber auf der Titelseite genannt, die das gesamte Spektrum der deutschen Altertumswissenschaften abdeckten.

  1. Ludwig Curtius (Archäologie, Heidelberg)
  2. Ludwig Deubner (Klassische Philologie, Freiburg)
  3. Eduard Fraenkel (Klassische Philologie, Kiel; später Göttingen; im Zeitraum 1931–1933 in Freiburg)
  4. Matthias Gelzer (Alte Geschichte, Frankfurt a. M.)
  5. Ernst Hoffmann (Philosophiegeschichte, Heidelberg)
  6. Werner Jaeger (Klassische Philologie, Berlin)
  7. Walther Kranz (Klassische Philologie, Lehrer in Berlin, seit 1928 und bis Mai 1933 Rektor der Landesschule Pforta)
  8. Karl Meister (Klassische Philologie, Heidelberg)
  9. Peter von der Mühll (Klassische Philologie, Basel)
  10. Karl Reinhardt (Klassische Philologie, Frankfurt a. M.)
  11. Gerhart Rodenwaldt (Generalsekretär des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches, Berlin)
  12. Wilhelm Schubart (Papyrussammlung, Altes Museum Berlin)
  13. Wilhelm Schulze (Sprachwissenschaft, Berlin)
  14. Eduard Schwartz (Klassische Philologie, München)
  15. Johannes Stroux (Klassische Philologie, München)
  16. Wilhelm Weber (Alte Geschichte, Tübingen)

Ausgangspunkt der nachfolgenden Studie ist die Umbildung des Herausgeberstabes 1933: Welche Rolle spielten die Herausgeber? Wie positionierten sie sich?

Hafner stellt jeden Herausgeber in einem Biogramm vor und geht dabei nicht nur auf ihre Lebensläufe ein, sondern auch auf ihre Einstellung zum NS-Regime und den Umwälzungen in der Redaktion des Gnomon. Er analysiert detailliert bisher zum Teil unbekanntes Material und zeichnet dabei nach, welche Rolle einzelne Herausgeber bei der Umbildung des Herausgebergremiums im Sinne des NS-Regimes einnahmen.

Das Ergebnis zeigte sich dann 1934 beim ersten Heft des 10. Jahrgangs: Nun standen nur noch 3 Herausgeber – Gelzer, Harder und Rodenwaldt – auf dem Titelblatt. Die Korrespondenz zwischen den Herausgebern untereinander, mit anderen Forschern und auch den Verlagen zeigt, dass die Umbildung von Harder von langer Hand vorbereitet worden war.

Jüdische Mitarbeiter oder als „Nichtarier“ eingestufte Forscher (Wissenschaftler mit (halb)jüdischen Ehepartnern) wurden aus dem Herausgebergremium entfernt, wenn sie nicht freiwillig gingen. Einige weitere Herausgeber gingen aus Protest ebenfalls. Trotz immer schärferer Einschränkungen für „nichtarische“ Wissenschaftler erlaubte Harder jedoch weiterhin unter bestimmten Bedingungen Rezensionen durch jüdische beziehungsweise nichtarische Wissenschaftler. Zum Teil gab es einfach keinen adäquaten Ersatz, zum Teil – wie vermutlich bei Hermann Straßburger und Otto Regenbogen – lag es an den sehr guten Lehrer-Schüler-Kontakten zu den Herausgebern.

Hafner zeigt außerdem deutlich, welche Probleme die Umgestaltung des Gnomon mit sich brachte. Es gingen nicht mehr genügend Besprechungen ein, da ja viele Rezensenten nicht mehr zugelassen wurden. Gleichzeitig deckten die drei Herausgeber nur noch einen kleinen Teil der ursprünglichen wissenschaftlichen Bandbreite ab. Als Gegenmaßnahme beschlossen sie zum einen, mehr eigene Besprechungen aufzunehmen, und zum anderen, Besprechungen aus dem ersten Jahrzehnt erneut abzudrucken. Eine Art des Content Recyclings. Die Themen entwickelten sich weg von Griechenland hin zu Rom und natürlich vor allem zu Germanien.

Harders Nachfolger wurde sein Schüler Marg – ein Generationenwechsel „im deutschen Sinne“, wie Harder schreibt. Später, als Harder und Marg an der Front kämpften, übernahm dann Erich Wilhelm Burck ihre Vertretung. Trotz aller Versuche, den Gnomon durch den Krieg zu bringen, musste man sich 1944 aber den äußeren Umständen geschlagen geben. Die Zeitschrift wurde eingestellt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten Wissenschaftler in Deutschland die durch die NS-Herrschaft größtenteils gekappten Verbindungen ins Ausland wieder aufzufrischen. Auch erschienen bald wieder die ersten altertumswissenschaftlichen Zeitschriften. So 1949 auch der Gnomon. Die bisherigen Herausgeber waren bei den Verfahren zur Entnazifizierung glimpflich davongekommen und wurden als Mitläufer eingestuft oder als entlastete Personen klassifiziert. Trotzdem gab es Veränderungen: Harder war zurückgetreten und Rodenwaldt hatte sich das Leben genommen. Für letzteren übernahm Friedrich Matz d. J. den Herausgeberanteil Archäologie. Burck, Marg und Gelzer machten weiter, wobei letzterer von Harder zu seinem Nachfolger bestimmt worden war.

Der Verlag wechselte von Berlin zum C. H. Beck-Verlag in München. Ausführlich schildert Hafner die Probleme bis zur Neuerscheinung im Beck Verlag. So mussten für die Lizenzierung unter anderem Gutachten ausländischer Wissenschaftler eingeholt werden.

Im abschließenden Kapitel geht Hafner auf die Frage ein, inwieweit sich der Gnomon beziehungsweise seine Herausgeber nun wirklich von den vorangegangenen ideologischen Einschränkungen lösten. Er stellt dabei fest, dass nun tatsächlich wieder Forscher aus dem Ausland rezensiert und auch als Rezensenten wieder zugelassen wurden. Dadurch kam es zu einer zunehmenden Internationalisierung. Auch jüdische bzw. nichtarische Forscher kamen nun wieder zu Wort, darunter auch Eduard Fraenkel oder Ludwig Curtius.

Andererseits waren aber auch Wissenschaftler darunter, die bis 1945 eine nicht unerhebliche Rolle im Wissenschaftsbetrieb des Nationalsozialismus gespielt hatten – und nach Kriegsende rasch wieder Positionen im westdeutschen Universitätswesen einnahmen. Aufbruch und personelle Kontinuität vermischten sich im Neuanfang nach 1945 unter dem weitgehend unveränderten Herausgebergremium also.

Im Anhang kann man alle Briefe von 1933 bis 1949, die der Untersuchung zugrunde liegen, nachlesen – beziehungsweise jene Textstellen aus den Briefen, die für die vorliegende Studie herangezogen wurden. In einem weiteren Anhang finden sich Listen der Herausgeber und Redakteure von 1925 bis 2024.

Auch wenn der Fokus klar auf der Altertumswissenschaft liegt, zeigt diese eindrucksvolle Studie beispielhaft, wie wissenschaftliche Institutionen unter politischem Druck agierten bzw. agieren mussten – und wie schwer ein Neuanfang nach 1945 war – vor allem dann, wenn zentrale Hauptakteure dieselben waren. Die Geschichte des Gnomon wird so zu einem Spiegel der Wissenschaftsgeschichte im „Dritten Reich“ – und darüber hinaus.

Markus Hafner
Die deutsche Altertumswissenschaft in der NS-Zeit. Der Gnomon von seiner Gründung 1925 bis 1949
C.H.Beck Verlag, München, 2025
224 S.
78,00 Euro

Erhältlich bei Amazon oder beim Beck-Verlag.