Monat: März 2015

Die sogenannten „Thronreliefs“ aus Ravenna (Teil 1)

Zu den umstrittensten römischen Reliefs gehören einige Fragmente von Mar­morplatten mit Darstellungen von leeren Thronen. Sie befinden sich heute an verschiedenen Orten in Italien und Frankreich, können aber mit Hilfe einiger sicherer Herkunftsangaben in schriftlichen Quellen des 14. und 15. Jh. n. Chr. zumindest teilweise sicher Ravenna zugeordnet werden. Auf­grund von diesen Herkunftsangaben sowie technischen, stilistischen und ikonographischen Übereinstimmungen, fasste Ricci sie zu Beginn dieses Jahr­hunderts zu einer einheitlichen Serie zusammen. Da jedoch von keinem der erhaltenen Fragmente der ursprüngliche Fundort, und damit der antike Kon­text, bekannt ist, ergeben sich viele Schwierigkeiten und Unsicherheiten sowohl bezüglich der Datierung, der Deutung und der ursprünglichen Verwen­dung der Reliefplatten, als auch bezüglich der Frage, ob die Fragmente wirklich alle zu einer einzigen Serie und damit zu einem einzigen Monument gehören.

Literatur:

L. Beschi, FelRav 4. Ser. 127–130, 1984–1985, 37 ff. Abb. 1–2; 48 ff. Abb. 8–7; 67 Abb. 22 B;
E. Simon, Die Götter derRömer (1990) 190 ff. Abb. 244;
T. Hölscher in: V. M. Strocka (Hrsg.), Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41–54
n. Chr.)
Umbruch oder Episode? Symposion Freiburgi. B., 16.–18. Februar 1991 (1994) 95 f. Abb. 4.

Im Folgenden soll nun das Motiv des leeren Throns besprochen und auf eine Datierung aufgrund einer stilistischen Einordnung der Putti vorgenommen werden.

Die frühesten Erwähnungen unserer Fragmente stammen aus dem 14. Jh. n. Chr. und sind auf die große Beliebtheit der Putti bei den Künstlern dieser Zeit zurückzuführen, denen sie z. B. als Modelle für ihre eigenen Putten­darstellungen dienten.

Die älteste Darstellung der zwei größeren Fragmente mit den Thron Neptuns, die seit 1585 in Monumente der Spätrenaissance an den Pilastern des Pres­byteriums von San Vitale eingefügt sind, stammt von Gentile da Fabriano aus dem Jahr 1419. Der erste Hinweis, kurz nach der Mitte des 14. Jh., ist jedoch von Desiderio Spreti: „adsunt etiam candidissimo marmore tres infantium imagines, opus nec immerito, ut fertur, Polycleti“ (es gibt auch aus glänzendem Marmor drei Kinderbilder, nicht unverdienter Weise ein Werk, wie man sagt, von Polyklet).

Ungefähr die Hälfte der vorhandenen Relieffragmenten stammen aus Ravenna. Die übrigen sind ohne genaue Herkunftsangabe, aber Beschi nimmt an, dass sie aus Rom stammen, da sie zur römischen Sammelleidenschaft gehören. In zwei Fällen, nämlich Neptun und Saturn, sind zwei fast identische Reliefs bezeugt, wobei beide Reliefs mit Thron des Neptun aus Ravenna stammen. Sehr wahrscheinlich ha­ben wir auch für den Thron des Bacchus zwei Reliefplatten bezeugt, mit einem sicher ravennati­schen Fragment und einem wahrscheinlich römischen. Beschi schließt daraus, dass es neben zwei Serien in Ravenna auch noch eine Serie in Rom gab, von der dann wohl die beiden ravennatischen abgeleitet waren.

(Fortsetzung folgt …)

Das Erechtheion auf der Akropolis von Athen (Teil 8)

Zur Funktion des Tempels (Fortsetzung)

Die Verbindung von Kekrops zu Erechtheus lässt vermu­ten, dass beide das gleiche Schicksal erlitten und dass auch Kekrops dort begra­ben wurde, wo er starb. Ursprünglich war Kekrops, nach Elderkin, die Schlange, die das Was­serbecken an der südwestlichen Ecke des späteren Erechtheions bewachte. Möglicherweise wurde Kekrops durch den Dreizack des Neuankömmlings Posei­don getötet. Später wurde Kekrops in der Überlieferung zu einem Wesen mit menschlichem Oberkörper und Schlangenfüßen.

Poseidon war der erste, der nach Athen kam, und mit seinem Dreizack ein Meer hervorbrachte. Schon immer war an der heuti­gen Südwestecke des Erechtheions Wasser durchgesickert, ebenso wie es wahrscheinlich schon vor der Ankunft von Zeus und Athena einen Ölbaum oder Ölbäume auf der Akropo­lis gegeben hatte. Poseidon und Athena vereinnahmten allerdings später das Meer und den Öl­baum als ihre Schöpfung.

Der Sage nach stritten Athena und Poseidon um die Schutzherrschaft über Attika und Kekrops I., der König Attikas, entschied dass beide Götter den Menschen Attikas ein Geschenk machen sollten. Derjenige, der das bessere Geschenk gebe, sollte die Herrschaft erlangen. Der Wettbewerb wurde auf dem Felsen ausgetragen, auf dem später die Akropolis entstehen sollte. Poseidon stieß seinen Dreizack in den Fels und ließ eine Quelle sprudeln (nach anderen Quellen einen Salzwasserquell), Athena pflanzte den ersten Olivenbaum. Kekrops entschied sich für das Geschenk Athenas, und die Hauptstadt von Attika wurde Athen genannt. Aus Wut verdammte Poseidon Kekrops, nie wieder Land berühren zu dürfen. Athena jedoch gab ihm Unsterblichkeit und somit die Hoffnung, irgendwann von seinem Schiff der Verdammnis herunter zu kommen.

In die gleiche Zeit wie die Niederlage des Poseidon gegen Athena fällt nach Elderkin wahrscheinlich auch die Ersetzung des Poseidon durch Erechtheus. Eine der Konsequenzen war ein neuer Namen für das sog. „Meer des Poseidon“, das nun Erechtheis hieß. Der neue Name ersetzte den alten aber nicht ganz und auch der Altar des Poseidon wurde nicht ausschließlich der des Erechtheus, aber in den offiziellen Quellen wurde Poseidon igno­riert. Das „Meer“ erhielt später die Gestalt ei­nes normalen Brunnens.

 

Das Erechtheion auf der Akropolis von Athen (Teil 7)

Zur Funktion des Tempels (Fortsetzung)

Wer aber wurde in der Krypta in der nördlichen Vorhalle verehrt? Seit der Entdeckung einer Öffnung im Dach der Nordhalle gibt es für Elderkin kaum noch Zweifel daran, dass nach dem Glauben der Athener des 5. Jahrhunderts die darunter liegenden Spuren im Fel­sen von Zeus stammten, der hier sein Blitz­bündel hinschleuderte. Aber Zeus war nicht der einzige Gott, dem diese Spuren in der langen Geschichte dieses Ortes zugeschrieben wur­den. Elderkin nennt zwei Tradi­tionen: Nach der einen trieb Poseidon Erechtheus mit Dreizackhieben in eine Öffnung in der Erde, nach der ande­ren erschlug Zeus auf Bitten Poseidons Erechtheus mit seinem Blitzbündel.

Elderkin hält es daher für möglich, dass die Spuren im Felsen unter dem Bo­den der Nordhalle zuerst die des Poseidon waren und als die Anhänger des Zeus auf der Akropolis die Oberhand gewannen, errichtete man neben den Spuren, die nun vom Blitz stammen sollten, einen Altar für Zeus Hypatos. In ähnlicher Weise wurde das Meer des Poseidon später zum Erechtheis.

Gleichgültig von wem Erechtheus getötet wurde, die Spuren im Fel­sen markieren zugleich sein Grab. Diese Theorie erklärt auch das kleine Loch im Fußboden der Nord­halle nahe der Tempelwand. Wahrscheinlich opferte man dem toten Erechtheus in der gleichen Weise wie den Toten auf dem Dipylon-Friedhof, indem man nämlich ein flüssiges Opfer durch Löcher im Grabkrater fließen ließ. Im Falle von Erechtheus wurde hierbei vermutlich Ochsen­blut geopfert. Ein solches Opfer am Grab des Erechtheus bestätigt auch die Inschrift des Altars des Thyechous, der in der Halle mit der Tür stand, d. h. in der Nordhalle des Erechtheions. Der Name bedeutet „der, der das Opfer gießt“. Wer aber war dieser Thyechous? Der erste, der diesen Namen trug, war vielleicht Boutes, der immerhin so wichtig war, dass er im Tempel einen ei­genen Altar neben dem des Poseidon-Erechtheus bekam und außerdem an den Wänden des Altarraums Bilder seiner Nachkommen hingen. Boutes war nach Apollodoros der Bruder des Erechtheus und außerdem mit dessen Tochter Chthonia verheiratet. Auch kam die Opferung von Stieren in Athen anscheinend erst mit dem Kult des Erechtheus auf.

(Fortsetzung folgt …)

Das Erechtheion auf der Akropolis von Athen (Teil 6)

Die Funktion des Tempels

Kein anderer griechischer Tempel zeigt mehr Besonderheiten oder bereitet mehr Schwie­rigkeiten für ein um­fassendes und befriedigendes Verständnis.

Die Erklärung für die Besonderheiten in der Konstruktion des Erechtheions muss vor allem in der Funktion des neuen Tempels gesucht wer­den, und in der Vorgeschichte des Geländes, auf dem er steht, denn der komplizierte Grundriss des Erechtheions sollte die ältesten Heiligtümer und die mit der Ent­stehung der Stadt verknüpften Kultmale ver­einen.

Im Bericht von 409 v. Chr. wird der Tempel beschrieben als Tempel auf der Akropolis mit der alten Statue. Damit war das Holzbild der Athena Po­lias gemeint, von dem es hieß es sei vom Himmel gefallen und nicht von Menschenhand ge­schnitzt. Vermutlich war es das einzige Standbild, das hier stehen sollte, und der Tempel wurde hauptsächlich zu Ehren der Athena er­richtet. Es gibt jedoch auch noch andere Kulte, die ich z. T. schon ange­sprochen habe.

Eine der Hauptquellen für die Kulte des Erechtheion ist die Beschrei­bung des Erechtheions bei Pausanias. Pausanias erwähnt vor dem Eingang einen Altar des Zeus Hypa­tos und im Innern einen Altar des Poseidon, auf dem auch dem Erechtheus geopfert wird, einen Altar des Hephaistos und einen Altar des Heros Bou­tes. An den Wänden sind Gemälde der Boutaden, d. h. der Nachkommen des Bou­tes. In einem anderen Raum befindet sich ein Meerwasserbrunnen. Im Felsen ist ein Dreizackmal. Außerdem gibt es als heiligstes Kultobjekt ein Bild der Athena. Ferner erwähnt Pausanias eine Lampe des Kallimachos und dar­über eine Bronzepalme als Schornstein. Im Tempel der Polias steht ein höl­zerner Hermes, durch Mythenzweige verdeckt, sowie verschiedene andere Weihgeschenke. Pausanias erwähnt dann noch den Ölbaum und das an den Athenatempel angrenzende Pandroseion.

In der Forschung gibt es viele Meinungsverschiedenheiten darüber, wo diese Kulte genau zu lokalisieren sind, da aus dem Bericht von Pausanias nicht eindeutig hervorgeht, wo er das Gebäude betrat. Vermutlich benutzte er die östliche oder die nördliche Portikus, von der jede der Haupteingang des zugehörigen Gebäude­teils ist. Früher wurde im Allgemeinen angenommen, dass die östliche Halle der Athena Po­lias geweiht war, und dass in den beiden westlichen Räumen die Al­täre für Poseidon-Erechtheus, Boutes und Hephaistos untergebracht waren. Andere Forscher vertreten dagegen die Ansicht, dass die Altäre im öst­lichen Raum standen und das Xoanon der Athena Polias irgendwo im westli­chen Teil des Gebäudes.

(Fortsetzung folgt …)

Das Erechtheion auf der Akropolis von Athen (Teil 5)

Zur Datierung

Im Sommer 409 v. Chr. bereitete eine Kommission zur Beaufsichtigung des Erechtheions einen detaillierten Bericht über den damaligen Zustand des noch unvollendeten Tempels vor. Dieser ein Jahr später fertige Bericht enthielt auch eine Inventarliste al­ler an der Baustelle herum liegenden Materialien. Ein großer Teil dieses Berichts ist auf einer Marmor-Stele er­halten, die 1765 von Chandler auf der Akropolis gefunden wurde. An­dere Fragmente berichten über die Abrechnungen der Bauarbeiten. Die Kom­mission war aufgrund eines Dekrets zusammengeru­fen wor­den, von dem wir einige Fragmente besitzen. Die Tatsache, dass es dieses offizielle Dekret gab und auch noch auf einer Stele festgehalten wurde, weist darauf hin, dass die Bauarbeiten wieder aufgenommen werden sollten. Der Tempel wurde bis 406 v. Chr. fertiggestellt, wobei man den genauen Arbeitsverlauf aufgrund der ausführlichen Bauabrechnungen gut verfolgen kann.

Dieser Bericht der Kommission von 409 v. Chr. ist die früheste erhal­tene Erwähnung des Erechtheion, aber wann wurde der Tempel begonnen? Eine Möglichkeit ist die Zeit vor dem Ausbruch des peloponnesischen Kriegs 432 v. Chr. In diesem Fall wäre der Tempel Teil des Plans des Perikles zum Wiederaufbau der Akropolis und dann wohl erst nach Fertigstellung des Parthenon begonnen worden. Es scheint jedoch seltsam, dass das Erechtheion nirgends erwähnt sein soll. Eine weitere Möglichkeit wäre ein Baubeginn während der friedlichen Zeit des Nikias-Frieden von 421 v. Chr. bis 414 v. Chr. und ein Tempel, der die alten Kultmale vereinigte, passt gut zu der Frömmigkeit des Nikias und einer Zeit, in der er politischen Einfluss hatte. In diesem Fall wäre ein Beginn um 419/18 v. Chr. anzunehmen, als sich die Stadt wirtschaftlich etwas von den vorhergehenden Kriegsjahren erholt hatte. Für beide Möglichkeiten gibt es jedoch keine sicheren Beweise.

 

(Fortsetzung folgt …)

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén